VOR 75 JAHREN – BEFREIER UND BEFREITE (TEIL 5)
Liebe Einwohner, liebe Geschichtsinteressierte,
aus Anlass des 75. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus wird die Geschichtswerkstatt Rehfelde e.V. an dieser Stelle ein paar interessante Informationen zu diesem Thema veröffentlichen.
Ihre Fragen, Hinweise und Ideen richten Sie bitte an:
Erinnerungen eines 10-jährigen
Erkenntnisse eines 85-jährigen
Mai 1945
Hitler ist tot. Die Kämpfe dauern an. In der Nacht vom 8. zum 9.Mai wird in Berlin-Karlshorst die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht unterschrieben. Sowjetische und polnische Verbände eilen dem Prager Aufstand zu Hilfe und zerschlagen die Reste der Heeresgruppe „Mitte“ in der Tschechoslowakei. Schörner flieht in Zivil zu den Amerikanern, die ihn später als Kriegsverbrecher an die Sowjetunion ausliefern.
Wir wurden noch einmal auf die Flucht geschickt, erlebten an der Grenze zu Böhmen, wie sich SS-Leute in einer Viehherde verschanzten und das Feuer auf polnische Soldaten eröffneten. Mutter wollte zurück in die Stadt, in die Wohnung der Großeltern. Ich hatte Angst, vollgestopft mit den Gräuelmeldungen der Nazipresse, wollte sie zurückhalten.
Als wir die Türme der Stadt schon sehen konnten, erste Begegnung mit den „Russen“. Soldaten in verblichenen Feldblusen waren dabei, ihre gefallenen Kameraden unter einer Baumgruppe zu begraben. Dann Umwege, weil mehrere Brücken gesprengt waren, mit dem Handwagen über die endlosen Gleisanlagen des Güterbahnhofs. An einer Kreuzung ein Mädchen in Uniform, den Karabiner auf dem Rücken, auf dem Kopf eine Baskenmütze mit Stern. Die “Reguliererin” schwenkt ihre Fähnchen und lächelt den Kindern zu.
Der Krieg ist zu Ende. Frieden. Keine Sirenen und Bombennächte mehr.
Der Mai 1945 war warm und sonnig. Die Obstbäume standen in üppiger Blütenpracht. Aber in der Luft lag der Brandgeruch der Ruinen und jener süßliche Geruch, der von verwesenden Menschen und Tieren ausgeht. Die letzten Toten des Krieges mussten vielerorts noch bestattet werden.
Geht man von Rehfelde ins benachbarte Garzau, in Richtung zur Kirche, liegt rechterhand, bevor man das Schloß erreicht, der kleine Friedhof. Gleich am Eingang erinnert eine Tafel an 24 deutsche Soldaten und Unteroffiziere, die noch im April 1945 gefallen waren, zumeist am 19. und 20.04., als die Front, die sich von den Seelower Höhen in Richtung Berlin bewegte, auch unsere Gegend erreicht hatte. Als Geburtsjahre findet man 1925, 1926, 1927. Drei waren noch nicht einmal 17, sinnlos für die Verlängerung eines verbrecherischen Krieges geopfert. Sie hatten das Leben noch nicht kennengelernt, aber vielleicht anderen, vielleicht ebenso jungen Menschen mit Sturmgewehr oder Panzerfaust das Leben genommen. Viele Kreuze und viele fünfzackige Sterne findet man über Gräbern im märkischen Oderland.
Wir werden lange vom „Zusammenbruch“ sprechen und erst langsam begreifen, dass es nicht nur für die Häftlinge in den Konzentrationslagern und Zuchthäusern, für die von Nazi-Deutschland unterdrückten und ausgebeuteten Völker Europas, sondern auch für uns die Befreiung von einem unmenschlichen, menschenverachtendem Regime war.
Was hatten die Väter und Brüder an Wolga und Dnjepr zu suchen? In Paris, Narvik und Nordafrika? Nach Belorussland und in die Ukraine, bis an die Wolga und zu den Gipfeln des Kaukasus waren die deutschen Armeen marschiert, auf Landraub, auf Aneignung von Weizen, Eisenerz und Erdöl, zur Versklavung und Ausbeutung der östlichen „Untermenschen“ durch eine angebliche deutsche „Herrenrasse“. Im Gefolge der Wehrmacht und oft unter ihrer Beteiligung waren SS und Sicherheitsdienst beschäftigt mit dem Schlimmsten, was menschliche Gehirne bisher ersonnen hatten, mit der industriemäßigen Vernichtung von Menschen – Juden, Sinti und Roma, sowjetischer Kommissare, “unwerten Lebens”. Nachdem Massenerschießungen wie in Baby Jar und Gasfahrzeuge wie in Chmelno nicht mehr ausreichten, wurden mit „deutscher Gründlichkeit“ Todesfabriken gebaut. Der IG-Farben-Konzern lieferte das tödliche Giftgas und nutzte die noch Arbeitsfähigen, bis sie „verschlissen“ waren und durch neues „Menschenmaterial“ ersetzt wurden.
Was vor dem Krieg nicht gelungen war, die Bildung einer Antihitlerkoalition der Großmächte, gelang erst, nachdem Nazideutschland weite Teile Europas in Besitz genommen und für seine Kriegführung nutzbar gemacht hatte. In Frankreich, Italien, Jugoslawien und anderen Ländern waren zudem starke Partisanenbewegungen gegen die deutschen Okkupanten entstanden und wirksam geworden.
Während die Westalliierten die Eröffnung einer zweiten Front lange herausgezögert hatten, haben die Völker der Sowjetunion und ihre Armee die Hauptlast an der Zerschlagung des Hitlerfaschismus getragen, die größten Opfer unter der Zivilbevölkerung erlitten. Groß waren die Zerstörungen in den Städten und Dörfern der Ukraine, Belorusslands und des westlichen Russland. Nun wurde der 8.Mai für sie zum Feiertag, zum Tag des Sieges. So wie er für uns zum Tag der Befreiung wurde. Er aber sollte uns in jedem Jahr mahnen: Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus! Das war der Schwur der Häftlinge von Buchenwald, das waren auch die Worte der Mütter nach den Bombennächten.
Es ist absurd, wenn heute eine Mehrheit im europäischen Parlament die Geschichte und Vorgeschichte des zweiten Weltkrieges per Beschluss verfälscht. Es ist gefährlich, dass die NATO sich bis an die Grenze des Leningrader Oblast ”erweitert” hat. Es ist eine Provokation, wenn USA und NATO Truppenübungen an der Grenze zu Russland vorsehen und das zu einem Zeitpunkt, wenn andere den 75.Jahrestag von Sieg und Befreiung begehen wollen.
Eckart Schlenker
Bild zur Meldung: Postkarte (im Privatbesitz) vom 8. Mai 1945 in Paris.
Spruch der Woche
„Denken, was wahr ist! Fühlen, was schön ist! Wollen, was gut ist!“
(August von Platen - 1796 – 1835)
DENKANSTOSS
„Das Gewissen ist das Gesetz der Gesetze.“
(Alphonse de Lamartine - 1790 – 1869)
Unsere Termine
Nächste Veranstaltungen:
Versammlung Ortsverband "Die Linke"/Wählergruppe Bündnis 24/29
28. 11. 2024 - Uhr – Uhr
Unsere Galerie
Seite durchsuchen
Noch auf der Suche? Probieren Sie es mit einer Volltextsuche.