2018 Beitrag im Jahrbuch Märkisch-Oderland über jüdische Zwangsarbeit
Jüdische Zwangsarbeit auf dem Rittergut Garzau
Zwangsarbeit von Juden wurde lange Zeit von der Öffentlichkeit mit dem Einsatz jüdischer Häftlinge in Konzentrationslagern oder von Juden in Ghettos verknüpft. Nur selten wird reflektiert, dass jüdische Menschen bereits vor ihrer Deportation in kommunalen Einrichtungen, Industriebetrieben und auf landwirtschaftlichen Gütern schuften mussten. So wundert es nicht, dass das Wissen um die Existenz der mehr als 20 „Forst- und Ernteeinsatzlager“ in Brandenburg dürftig ist. In unserer Region waren das u. a. die Arbeitslager in Altlandsberg-Werneuchen (Domäne Altlandsberg)/Krs. Niederbarnim, Bahlendorf/Krs. Lebus, Booßen/Krs. Lebus, Behlendorf/Krs. Lebus, Hasenfelde/Krs. Lebus, Hangelsberg (Spree), Jacobsdorf (Mark), Kersdorf/Briesen, Neumühle/Krs. Lebus, Treplin/Krs. Lebus, Pillgram/Krs. Lebus, Radinkendorf/Beeskow und Teuplitz. Einen quellengestützten Einblick in die Existenz des Lagers Garzau/Krs. Oberbarnim und die dort herrschenden Bedingungen gewährt eine kürzlich erschienene Untersuchung.
Garzau, seit dem Jahre 2003 Ortsteil der Gemeinde Garzau-Garzin, ist weit über die lokalen Grenzen hinweg durch das Wirken des preußischen Kartografen Friedrich Wilhelm Carl Graf von Schmettau (1743-1806) bekannt. Die von ihm stammende ursprünglich als Grabmal gedachte Feldsteinpyramide wurde 2010 rekonstruiert. Sie zieht jährlich zahlreichen Besucher an. Die wenigsten von ihnen dürften jedoch um die Verbindung des Areals mit der jüdischen Geschichte in Berlin und Brandenburg wissen. Als ein Friedrich Hans Paul von Rohrscheidt im Juli 1880 das Rittergut Garzau kaufte war das Anwesen heruntergekommen. Der 33-jährige Königlich Preußische Landrichter verhalf der Gutswirtschaft zu neuer Blüte. Mit der Unterstützung seines Schwiegervaters, des äußerst vermögenden und einflussreichen jüdischen Unternehmers Rudolf Pringsheim, brachte er es innerhalb weniger Jahre zu finanzieller Stärke und gesellschaftlichem Ansehen. Er vergrößerte den Umfang seiner Ländereien und steigerte Produktivität des Gutsbetriebes durch Nutzung neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse sowohl im Feldbau als auch in der Viehzucht.
Nach dem Tod des Vaters im Juni 1916 führte der älteste Sohn, Hans von Rohrscheidt, die Geschäfte des Gutes ganz im Sinne des Erblassers weiter. Der promovierte Jurist mit den erforderlichen Kenntnissen zur Führung eines landwirtschaftlichen Großbetriebes, Träger des Ritterkreuzes und Ehrenritter des Johanniterordens gehörte mittlerweile zu den angesehensten Persönlichkeiten in der Region. 1925 Mitglied der nationalkonservativen Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) errang er bei den Wahlen zum Brandenburgischen Provinziallandtag im November 1925 einen der 28 Sitze für die DNVP. Am 30. Januar 1932 wählten ihn seine Kollegen zum Vorsitzenden der Fraktion.
Die Machtübertragung an die Nazis 1933 stellte einen tiefen Einschnitt in der Biografie des Hans von Rohrscheidt dar. Zu unterschiedlichen Zeitpunkten überprüften ihn die Gestapo und verschiedenste staatliche Institutionen bezüglich seiner jüdischen Herkunft. Erst Ende 1928 zum Vorsteher des neu gebildeten Amtsbezirks Garzau ernannt worden, verlor der Rittergutsbesitzer 1933 diese Aufgabe. Im Juni 1933 gab darüber hinaus seine Partei, die DNVP, ihre Selbstauflösung bekannt. Unangetastet blieb sein Eigentum und damit sein Broterwerb. Allerdings wurde das Gut ebenso wie alle land- und ernährungswirtschaftlichen, forst- und holzwirtschaftlichen Betriebe des Reiches in Vorbereitung eines Krieges einem strukturierten zentralistischen System des Wirtschaftens unterstellt und zwangsweise in der neu errichteten Organisation des Reichsnährstands zusammengeschlossen. Dieser entschied über Art und Umfang der Produktion und des Ablieferungssolls. Eine umfassende Erfüllung seiner Auflagen war Voraussetzung dafür, notwendige Produktionsmittel und insbesondere Arbeitskräfte zugeteilt zu bekommen.
Mit dem Kriegsbeginn 1939 veränderte sich das Alltagsleben der Deutschen. Das Dorf Garzau war davon nicht ausgenommen und hatte einen Teil der Arbeitskräfte für die Wehrmacht abzustellen. Eine Reserve zur Ausfüllung dieser Lücke sah die faschistische Führung in der Ausbeutung von Kriegsgefangenen, ausländischen Zwangsarbeitern sowie im „geschlossenen Arbeitseinsatz“ von Juden und von Teilnehmern jüdischer Ausbildungsstätten. Rittergutsbesitzer Hans von Rohrscheidt erhielt jüdische Arbeitskräfte anfangs durch die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“, später durch das für Garzau zuständige Arbeitsamt Strausberg II zugeteilt. Die ersten trafen Ende 1939 in Garzau ein. Insgesamt waren bis 1943 nachweislich 2 Frauen und 22 Männer auf dem Gut beschäftigt. Sie stammten aus 18 Orten des Deutschen Reiches. Die Mehrzahl der Garzauer Arbeiter war 1943 jünger als 30 Jahre. Etwa die Hälfte war ihrem sozialen Status zufolge Kaufleute. Sie alle hatten gemeinsam mit ihren Familien bereits mehrfach Situationen wie Enteignungen und Verhaftungen durchlebt, die ihre wirtschaftliche und sogar physische Existenz bedrohten. Mehrere jüdische Arbeiter hatten vor ihrem Einsatz in Garzau als Praktikanten eine landwirtschaftliche oder gärtnerische Lehre in jüdischen Ausbildungsstätten erhalten, um sich gezielt auf die Emigration vorzubereiten.
Zeitgenössische Dokumente bezeichneten die Einrichtung auf dem Rittergut Garzau als „Arbeitseinsatz- und Umschulungslager“, "Arbeitseinsatzbetrieb“, „auf dem Gut Garzau beschäftigte jüdische Arbeitsgruppe“ oder „Gemeinschafts-Arbeitseinsatzlager“. Wie auch immer. Für Hans von Rohrscheidt war die Anstellung der jüdischen Arbeiter von wirtschaftlicher Bedeutung. Sein vorrangiges Anliegen war die Erfüllung seiner Produktionsauflagen und die Erzielung von Profit durch die Ausbeutung der jüdischen Arbeitskraft, deren Notlage er skrupellos ausnutzte. An Unterbringungsmöglichkeiten bot ihnen der Gutsbesitzer Ställe und Scheunen. Zum Essen, Schlafen und um die gering bemessene Freizeit zu verbringen, musste es reichen. Ähnlich verhielt es sich mit der Verpflegung. Bereits nach den ersten Monaten auf dem Gut waren die jüdischen Arbeiter abgemagert und ausgehungert. Für ihre Arbeitskleidung hatten die Zwangsarbeiter persönlich Sorge zu tragen obgleich sie weder über das notwendige Geld noch die Kleidermarken verfügten.
Die Arbeit auf dem landwirtschaftlichen Gut mit seinen 1.300 Hektar, davon etwa Zweidrittel Wald, erforderte höchste physische Anstrengungen. Die jüdischen Zwangsarbeiter – sie machten die Hälfte der auf dem Gut Beschäftigten aus - hatten dazu beizutragen, dass von den etwa 500 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche rund 400 t Getreide und 2.600 t Hackfrüchte geerntet wurden. Hinzu kam das Futter für die Pferde, 130 Stück Rindvieh, 160 Schweine und 420 Schafe. In den Wintermonaten standen die anstrengenden und oft gefährlichen Forstarbeiten auf dem Plan.
Ende 1942 beriet die faschistische Führungsspitze, wie man sich auch der letzten im Reich lebenden Juden entledigen könnte. Wie von höchster Stelle angeordnet, begann am 27. Februar 1943, es war ein Samstag, die „Großaktion Juden“, nach dem Krieg auch als „Fabrikaktion“ bezeichnet. Den Überraschungseffekt nutzend, riegelte die Gestapo mit Unterstützung der SS die Betriebsgelände ab und holte die jüdischen Zwangsarbeiter direkt von ihren Arbeitsplätzen weg. Andere wurden in ihren Wohnungen, bei Behördengängen und auf offener Straße festgenommen. In Garzau geschah es sehr früh am Morgen. Die Zwangsarbeiter befanden sich noch in ihren Quartieren, als sie die Aufforderung erhielten, sich unverzüglich für den Abtransport fertig zu machen. Mitnehmen durften sie nur das, was sie auf dem Leib trugen, sowie ein leichtes Handgepäck mit dem Notdürftigsten. Den Rest ihres armseligen Besitzes wie Bettzeug, Kleidungsstücke und Gebrauchsgegenstände mussten sie zurücklassen. Unter strenger Bewachung wurden die noch anwesenden 19 Männer und eine Frau nach Berlin transportiert. Im Sammellager Große Hamburger Straße erfolgte eine bürokratische Vorbereitung auf die zwei Tage später folgende Verschleppung Kurz darauf organisierte das Finanzamt Bad Freienwalde in Garzau die Versteigerung der kläglichen Hinterlassenschaften der Zwangsarbeiter. Sie erbrachte einen Erlös von 347,00 RM, Raubgut des Staates.
Am 1. März und am 19. April 1943, d. h. vor 75 Jahren, deportierte die SS 390 jüdische Männer und Frauen aus 16 landwirtschaftlichen Zwangsarbeiterlagern Brandenburgs in das Konzentrationslager Auschwitz. Neben den Arbeitern aus Garzau waren das u. a. 52 jüdische Menschen aus Kersdorf/Briesen, 153 aus Neuendorf bei Fürstenwalde und 20 vom Gut Altlandsberg-Werneuchen. Auskunft über die Deportationen geben die bis zum heutigen Tag erhaltenen Transportlisten.
Eine kürzlich beim Verlag Hentrich&Hentrich erschienene Publikation zum Lager Garzau öffnet den Blick auf das System der jüdischen Zwangsarbeit als Bestandteil der faschistischen Judenverfolgung. Sie soll dazu anregen, Recherchen auch in anderen Orten der Region vorzunehmen.
Auszug aus der Häftlingspersonalkarte des KZ Auschwitz
Quelle: Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau
Zwangsarbeiterunterkunft in Garzau, Alte Mühle. Zustand April 2016
Quelle: Privatarchiv Schwarz
Dr. Erika und Gerhard Schwarz
Rehfelde
Quelle: Erika und Gerhard Schwarz: Das Rittergut Garzau und jüdische Zwangsarbeit. Berlin 2017.
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(August von Platen - 1796 – 1835)
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