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Gelesen und abgeschrieben bei anderen

21. 10. 2022

Heute aus einem Interview mit Ex-General Harald Kujat. ehemaliger Generalinspektor der Bundeswehr. (stark gekürzt vom 6. 10. 2022 von Renè Nehring)

Brisante Neuigkeiten, die hierzulande durch Medien und Bundesregierung verschwiegen werden. Antworten eines überzeugten Transatlantiker, der trotz seiner prowestlichen Grundorientierung seit Jahrzehnten für einen fairen Austausch mit Russland plädiert.

 

"An welchem Punkt stehen wir Ihrer Meinung nach in diesem Krieg?

Wir, der Westen, sollten uns jedoch sowohl von der Rhetorik Putins als auch von der Rhetorik mancher Kommentatoren nicht beeindrucken lassen, sondern sachlich überlegen, welche weiteren Schritte aus der Lage entstehen könnten.

Allerdings hat der russische Präsident in seiner Rede zur Teilmobilmachung auf einen sehr wichtigen Punkt hingewiesen, der in den Übersetzungen deutscher Medien nicht vorkommt. Und zwar hat Putin – er betonte, dass er dies zum ersten Mal in der Öffentlichkeit bekanntmacht – gesagt, dass es bereits Anfang April eine Vereinbarung zwischen der Ukraine und Russland über ein Ende der Kampfhandlungen und eine Friedenslösung gegeben habe. Diese Vereinbarung beinhaltete, dass sich Russland aus allen seit dem 24. Februar 2022 eroberten Gebieten zurückzieht, im Gegenzug die Ukraine auf einen NATO-Beitritt verzichtet und dafür Sicherheitsgarantien von verschiedenen Staaten erhält. Damit hätte der Krieg bereits im Frühjahr beendet werden können! Doch er ist nicht beendet worden, weil zu diesem Zeitpunkt, präzise am 9. April, der damalige britische Premierminister Johnson nach Kiew reiste und veranlasste, dass der ukrainische Präsident Selenskyj dieses Abkommen nicht unterzeichnete und die Gespräche mit Russland abbrach. Putins Aussagen werden unter anderem gestützt durch Artikel der US-amerikanischen Zeitschriften „Foreign Affairs“ und „Responsible Statecraft“ (hier am 2. September 2022), in denen die Vereinbarung zwischen Ukrainern und Russen ebenfalls erwähnt wird.Seit Ausbruch des Krieges wird viel von „Zeitenwenden“ gesprochen – dieser 9. April 2022 war tatsächlich ein Wendepunkt, weil der Krieg hätte beendet werden können. Doch haben Erwägungen, den geopolitischen Rivalen Russland unerwartet schwächen zu können, dies verhindert.

Ein nächster Wendepunkt könnte nun wieder anstehen, falls Putin seine „militärische Spezialoperation“ für beendet erklären sollte. Dann stellt sich wieder die Frage, wie der Westen handelt. Wobei aus Moskauer Sicht auch die Krim als russisches Territorium gilt sowie nun auch die vier neuen Verwaltungsbezirke, weshalb ein ukrainischer Versuch, diese Gebiete zurückzuerobern, als Angriff auf Russland gewertet würde. In seiner Rede zur Annexion der vier von Russland beanspruchten Gebiete am vergangenen Freitag hat Putin noch einmal Verhandlungen angeboten. Selenskyj hat das sofort abgelehnt.

Wie gefährlich ist die Lage?

Fakt ist: Die Eskalationsschraube hat sich in den letzten Tagen sehr stark weitergedreht. Ich kann nicht erkennen, dass irgendjemand versucht, diese Eskalation zu durchbrechen.  Der Einsatz auch nur einer einzigen Nuklearwaffe würde aber auf jeden Fall die Natur des Krieges völlig verändern.

Präsident Biden hat mehrfach erklärt, dass es keine Lieferung von Waffen an die Ukraine geben werde, durch die der Krieg nuklear werden könnte. Und er hat früh, am 31. Mai, in einem Artikel in der „New York Times“ zurecht gesagt: „Dieser Krieg kann nur durch Diplomatie beendet werden. Aber die amerikanische Politik ist in dieser Hinsicht widersprüchlich. Was mir fehlt ist eine klare westliche Strategie, die das Ziel hat, erstens eine geographische Ausweitung dieses Krieges auf NATO-Territorium zu verhindern, zweitens eine nukleare Eskalation zu verhindern und drittens zu einer Friedenslösung beizutragen, die sowohl die Sicherheit der Ukraine gewährleistet als auch die Voraussetzung schafft für eine europäische Sicherheits- und Friedensordnung, in der alle europäischen Staaten – einschließlich der Ukraine und Russlands – ihren Platz haben. Stattdessen hören wir immer nur Forderungen nach „härteren Maßnahmen“, selbst wenn diese, wie die Wirtschaftssanktionen, uns mehr treffen als Russland.

Letztendlich ist für die Gesamtstrategie des Westens der Wille Washingtons maßgeblich. Russland und die Ukraine könnten zwar durchaus einen Waffenstillstand verhandeln, eine langfristige Friedensvereinbarung auf der Grundlage eines Interessenausgleichs wird es jedoch nur zwischen den beiden Hauptakteuren in diesem Krieg geben – zwischen Russland und den USA. Es ist doch ganz offensichtlich, dass es um geostrategische Ziele geht, um die Rivalität der großen Machtblöcke aus China und Russland auf der einen Seite sowie den Vereinigten Staaten und Europa auf der anderen.

Zwei Dinge sind an der deutschen Außenpolitik vor allem zu kritisieren. Das eine ist die Antriebslosigkeit zur Überwindung dieses Krieges und das andere die wiederholten Drohungen gegen Russland, und zwar nicht nur gegen die Regierung, sondern auch gegen die russische Bevölkerung. Wenn Baerbock sagt, auch die Bevölkerung treffen zu wollen, dann wird eine Hürde aufgebaut für viele Jahre, die wir kaum überwinden können. Egon Bahr hat einmal gesagt: „Für die Sicherheit Europas sind die Vereinigten Staaten unverzichtbar. Aber die Sowjetunion“, an deren Stelle jetzt Russland steht, „ist unverrückbar“. Unabhängig vom militärischen Ausgang des Krieges wird Russland auch in Zukunft unser Nachbar bleiben. Und wir müssen versuchen, zu einem Modus Vivendi zu kommen – ganz egal, wie stark man jetzt auch auf eine Dämonisierung Putins setzt.

Einen Krieg gewinnt man, wenn man die politischen Ziele erreicht, deretwegen man diesen Krieg geführt hat. Dieses Ziel wird jedoch von keinem der Beteiligten erreicht werden: weder von Russland, das im Gegensatz zu den Geländegewinnen im Süden hinnehmen musste, dass Finnland und Schweden Mitglieder der NATO geworden sind, noch die Vereinigten Staaten, denen es bei aller Schwächung Russlands nicht gelingen wird, Moskau als geostrategischen Rivalen so weit zu schwächen, dass es künftig keine Rolle mehr in der Weltpolitik spielt. Es muss also darauf hinauslaufen, einen klugen Kompromiss zu finden, mit dem alle Seiten einigermaßen leben können.

Es gibt Beispiele, die zeigen, dass eine Kompromisslösung durchaus Bestand haben kann. Im Koreakrieg hat auch keine Seite ihre politischen Ziele erreicht. Militärisch gab es ein Patt am 38. Breitengrad. Ein anderes Beispiel ist Zypern. Der Nordteil der Insel ist seit 1974 von der Türkei militärisch besetzt. Die „Türkische Republik Nordzypern“ wird nur von der Türkei anerkannt. Die beide Seiten trennende Pufferzone wird von einer Friedenstruppe der Vereinten Nationen überwacht. In beiden Fällen weiß man, dass es irgendwann eine politische Lösung geben muss, aber solange wie es sie nicht gibt, sorgt die Waffenruhe dafür, dass es dort keine Kampfhandlungen mehr gibt. Die Ukraine braucht die russische Annexion von Teilen ihres Staatsgebietes nicht anzuerkennen; der Westen wird es auch nicht tun. Wie die Lage in zehn oder 20 Jahren aussieht, weiß niemand.

Erst einmal sollte es das vorrangige Ziel aller Beteiligten sein, das unsinnige Sterben unschuldiger Menschen zu beenden."

 

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