Anlässlich Internationalen Frauentag – 8. März 2023
Über eine tapfere Frau und besorgte Mutter - nicht nur eine Episode!
Im September 1941 stieg eine 51 Jahre alte Frau auf dem Bahnhof/Rehfelde aus dem aus der Reichshauptstadt kommenden Zug und machte sich auf den Weg nach Garzau. Wer war diese Reisende und warum suchte sie unser Nachbardorf auf ?
Ihr Name war Frieda Klopstock. Auf ihrer Kleidung trug sie den vom faschistischen Staat verordneten, für die Umwelt sichtbaren selbst aufgenähten gelben Stern. Die Mutter war auf dem Weg zu ihrem Sohn. Bis 1938 lebte sie mit dem Gatten Hans, einem ausgewiesenen mit Patenten versehenen Wissenschaftler der Kabelwerke, dem Sohn Werner, 1922 geboren, und der Tochter Hanna Ruth, 1924 geboren, in Fürstenwalde. Im November 1938,wenige Tage nach der antijüdischen Pogromnacht, wurde ihr Mann verhaftet und in das KZ Sachsenhausen verbracht, wo er am 12. Dezember 1938 an den Folgen der unmenschlichen Bedingungen verstarb. Sein Grab befindet sich noch heute auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee.
Um ihren Lebensunterhalt zu sichern und eine Bleibe zu haben, war die alleinstehende Mutter gezwungen, im März 1939 mit den beiden Kindern nach Berlin zu ziehen. Doch auch hier bekamen sie alltäglich die Hetzjagd auf die jüdischen Menschen zu spüren. Mit Unterstützung einer jüdischen Hilfsorganisation gelang es Frieda, die Tochter in Sicherheit zu bringen. Am 20. März 1939 konnte sie nach überstürzten Vorbereitungen die 15-Jährige mit einem Kindertransport nach Frankreich retten. Die Sehnsucht nach der Tochter verkraftete das Mutterherz nur schwer. Noch zwei Jahre später schrieb sie Hanna Ruth über eine Schaltstelle in der Schweiz nach Paris:
„Es ist zwar schon spät am Abend geworden und ich bin sehr müde, aber dennoch will ich wenigstens den Brief endlich an Dich beginnen. Ich weiß, Du wartest schon sehr auf diese Zeilen. Und ich unterhalte mich ja so gerne ein bißchen mit Dir am Abend. Aber ich muss dann stets mit feuchten Augen daran denken, wie Du so nett Abends ankamst - in deinem geliebten rosa Pyjama!- und Dich auf meinen Schoss setztes und so zärtlich „Gute Nacht“ sagtest! Wann und Wo werde ich Dich, mein geliebtes Kind, wohl wieder in meine Arme schließen können! Diese Hoffnung gebe ich nicht auf. Sie erhält mich, ich glaube fest daran.“
Der Sohn Werner, der für den Kindertransport zu alt war, gelangte über mehrere Zwischenstationen in das Zwangsarbeiterlager nach Garzau. Im Juni 1941 berichtete er seiner Schwester nach Paris:
„Ich bin über Pfingsten bei der Mutti auf Urlaub und will die Gelegenheit wahrnehmen, einige Zeilen an Dich zu richten. Ich arbeite jetzt, nachdem der Schädlingskurs beendet wurde, auf einem Rittergut etwa 40 km von hier entfernt, und zwar in der dortigen Gärtnerei, die allerdings nicht allzu gross ist. Außerdem befindet sich dort ein jüdisches landwirtschaftliches Arbeitslager. Die Leute mit denen ich zusammen wohne, arbeiten auf dem Gute des Herrn von Rohrscheidt in der Landwirtschaft. In dem etwa 25 Mann starken Lager befinden sich auch die Eltern deiner Freundin Alice Lachmann, die Mutter ist in der Küche tätig, der Vater arbeitet in der Landwirtschaft.“
Die Sorge um den Sohn, den sie immer seltener zu Gesicht bekam, bewog Frieda im September 1941, Werner in Garzau zu besuchen. In ihrem Brief an die Tochter in Paris äußert sie sich entsetzt über die primitiven Bedingungen im Lager. Untergebracht war Werner wie auch die anderen jüdischen Zwangsarbeiter in einem Gebäude, das geeignet war, Vieh unterzubringen oder Feldfrüchte zu lagern. Zum Essen, Schlafen und um die gering bemessene Freizeit zu verbringen, musste es reichen. Das Leben der jüdischen Menschen durch Verbote und Einschränkungen bestimmt, wurde von Monat zu Monat unerträglicher.
Hinzu kamen die Meldungen über die „Verschickung“ von Familienangehörigen zum „Arbeitseinsatz in den Osten“, in Nazidokumenten als „Endlösung“ bezeichnet. Mutter Frieda war realistisch genug, um zu verstehen, dass es sich nur um Tage handeln würde, bis auch sie deportiert wird. An Tante Elisabeth, die Schaltstelle in der Schweiz, schrieb sie am 21. Dezember 1942:
„Liebe gute Tante Elisabeth! Ich bin sehr traurig heute, der Abschied von Werner fiel mir diesmal sehr schwer. Mir ahnt nichts Gutes, und ich muß mich fassen. Dir danke ich noch einmal für Deine unermessliche Güte und Hilfe.Bitte hilf meinem Kinde, meiner über alles geliebten Hanna Ruth weiter und tröste sie, wenn das schwere Schicksal auch an mich herantritt.“
Die Ereignisse überschlugen sich. Werner teilte am 6. Februar 1943 aus Garzau seiner Schwester in Frankreich mit:
„Leider wirst Du in nächster Zeit wohl keine Post von der Mutti erhalten, da sie seit voriger Woche nicht mehr zu Hause ist. Hoffentlich kommt dies für Dich nicht allzu plötzlich. Ich selbst hatte damit schon einige Zeit rechnen müssen. Auch Tante Else ist seit 2 ½ Wochen fort. Wenn ich Nachricht von Mutti habe, gebe ich Dir nach Möglichkeit sofort Mitteilung. Ausserdem werde ich Dir jetzt, liebe Hanna Ruth, alle 3-4 Wochen, wenn ich kann, regelmäßig schreiben.“
Doch die faschistische Vernichtungmaschinerie war schneller. Mutter Frieda Klopstock wurde, am 3. Februar 1943 mit dem 28. Osttransport von Berlin nach Auschwitz deportiert und dort im Gas erstickt. Da war sie 53 Jahre alt. Ihr Sohn Werner wurde nur wenige Wochen später, am 27. Februar 1943, mit seinen jüdischen Kameraden von Garzau aus nach Berlin und am 1. März von dort nach Auschwitz verbracht. Er musste unweit des Stammlagers in den Kohlegruben der Hermann Göring Werke schuften. Sein letztes Lebenszeichen, eine Karte an die Schwester in Frankreich trägt das Datum vom 2. August 1943.
Fürstenwalde gedenkt heute den Mitgliedern der Familie Klopstock mit Stolpersteinen in der Dr.-Wilhelm-Külz-Straße.
Dr. Erika Schwarz
Bild zur Meldung: Anlässlich Internationalen Frauentag – 8. März 2023
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